Exhibitions: "Privatisierung - zeitgenössische Kunst aus Osteuropa", Kunstwerken, Berlin, 2004
"Meditation on Motherland, Museum of Anna Akhmatova, St. Petersburg, 2004
DAS LIFSCHITZ INSTITUT ( VIDEO )
2004
MONTAGEBLÄTTER
42 min.
Porträt 0– 0.19
Michail Lifschitz ist eine der rätselhaftesten und paradoxesten Erscheinungen der kommunistischen Epoche.
Kein zweiter Name eines sowjetischen Denkers ist derart anrüchig, und kein zweiter Name weckt heute ein ähnlich großes Interesse.
Kljasma 0.24-0.43
Auf einer Lifschitz gewidmeten Ausstellung wurde im Jahr 2003 das Selbstporträt des Künstlers Konstantin Bochorow gezeigt.
Bochorow 0.43-0.59
Hier sehen wir den Autor, wie er mit einem Buch in der Hand am Haus der Russischen Regierung vorbeigeht. Sein Gesicht scheint vollkommen von einer Idee ergriffen zu sein. Er entfernt sich vom Symbol der Staatsmacht und zugleich von der anarchistischen Rebellion gegen diese.
Diese Rebellion demonstriert eine Gruppe von Leuten im Hintergrund, die mit heruntergelassenen Hosen einem Fotografen posieren.
Performance. 0.59-1.05
Radek – Titelseite. 1.05-1.13
Es handelt sich um eine Performance radikaler Moskauer Aktionisten, die im Herbst 1993 stattfand und zu jener Zeit auch auf der Titelseite der linksradikalen Zeitschrift „Radek“ reproduziert war.
Im Hintergrund sieht man das ausgebrannte Haus der Regierung.
Die Ereignisse führen uns in die Zeit der Entstehung des ungezügelten russischen Kapitalismus.
Sturm des Weißen Hauses. 1.17-1.25
Auf Befehl des russischen Präsidenten Boris Jelzin nahmen Armeeeinheiten am 4. Oktober 1993 in diesem Haus das den Reformen widerstrebende und sich seiner Auflösung widersetzende Parlament unter Beschuß.
Hand mit Buch 1.35-1.41
Das wichtigste Detail dieses Bildes ist das Buch in der Hand des Künstlers.
Krise – Umschlag 1.41-1.43
Auf dessen Umschlag ist das Fragment einer abstrakten Arbeit Wassily Kandinskys zu sehen.
Es handelt sich um das Buch „Die Krise des Häßlichen“ von Michail Lifschitz -
Krise – Schutzumschlag 1.43-1.59
Dies ist das gleiche Buch mit einem Stilleben von Picasso auf dem Schutzumschlag.
- das wichtigste theoretische Werk des sowjetischen Marxismus, das das gesamte ästhetische Projekt des XX. Jahrhunderts vernichtender Kritik unterzieht.
Krise (deutsch) 1.59-2.05
Dies ist die deutsche Ausgabe des Buches.
Soz. Sopr. (4) 2.05-2.17
In jüngster Zeit steht der Autor dieses Buches im Zentrum kunsttheoretischen Streits. Künstler, politische Aktivisten, Kritiker und Historiker kommen in Galerien, Wohnungen und Ateliers zusammen, um längst vergessene Texte wieder zu lesen, die Lifschitz vor 40 bzw. 70 Jahren verfaßt hat.
Atelier (5). 2.17-2.40
Bulnygin (Hegel). 2.40-4.06
Die Atmosphäre einer dieser Zusammenkünfte vermittelt ein Film von Dmitrij Bulnygin. Die Diskussion fand im Moskauer Institut für Philosophie statt und war einem Text über Hegel gewidmet, den Lifschitz 1931 verfaßt hat.
Zeitungen. 4.06-4.19
Die Kunstkritik stuft die Aktivitäten des Instituts als Manifestation extremer Formen von Extravaganz ein und betrachtet die Wahl des Namens Lifschitz als skandalös.
Das hat seine Gründe.
Lifschitz. Photo 4.19-4.24
Michail Lifschitz wurde 1905 in der südukrainischen Kleinstadt Melitopol geboren.
Im Jahr der ersten russischen Revolution.
Picasso 4.35-4.47
Zwei Jahre später, im Jahr 1907, schafft Picasso seine ersten kubistischen Arbeiten, die Revolution in der Kunst nimmt ihren Anfang. Ein Phänomen, das für Lifschitz Zeit seines Lebens im Zentrum der Aufmerksamkeit steht.
Popen 4.47-5.00
Die dunkle, durch rauhe Materialien aufquellende Maltechnik und die bewußte Rückkehr zur primitiven Barbarei, wie sie die Kubisten praktizieren, lassen ein wenig erfreuliches Jahrhundert erwarten. 1913 spürte das kaum jemand.
Krieg. 5.00-5.17
Aber schon wenig später wurde es allen bewußt. Lifschitz ist 9 Jahre alt, als der 1. Weltkrieg ausbricht.
Lenin verspricht: „Die ‚zivilisierte‘ kapitalistische Welt steuert auf eine Krise nie da gewesenen Ausmaßes zu, die sämtliche Fundamente des Kulturlebens sprengen kann und unweigerlich sprengen wird.“
Flaschengestell 5.17-5.24
Im gleichen Jahr stellt Marcel Duchamp ein Flaschengestell als Kunstwerk aus. Es beginnt, was Lifschitz als Überschreitung jeglicher Grenzen des Sinns bezeichnet.
Malewitsch 5.24-5.35
Ein Jahr später stellt Malewitsch auf einer Ausstellung das „Schwarze Quadrat“ aus.
Revolution 5.35-5.40
1917 kommt es in Rußland zur proletarischen Revolution.
Titel: Proletarier aller Länder vereinigt Euch.
Pissoir 5.46-5.50
Im gleichen Jahr stellt Duchamp sein „Pissoir“ aus.
Sinowjew 5.50-6.07
1918 ist Lifschitz 13 Jahre alt. Er wertet es als unschätzbares Glück, daß sein Eintritt in das Erwachsenenleben exakt in dieses Jahr fällt. Die Oktoberrevolution ist das Schlüsselerlebnis seiner Jugend.
Titel: Tod der Bourgeoisie und ihren Lakaien. Hoch lebe der Rote Terror.
Bürgerkrieg 6.07-6.17
Die Überwindung der Absurdität der Existenz durch die Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.
In Melitopol erlebt Lifschitz, was Bürgerkrieg ist, wöchentlich wechselnde Machthaber, Banditentum, Besetzung, Hunger und Flecktyphus.
Zeichnung 6.25-6.27
Hier sehen wir eine seiner Kinderzeichnungen.
Lifschitz ist 15 Jahre alt, als er erstmals die Bücher Lenins liest.
Lenin 6.27-6.31
Aber die ersten und eindringlichsten Eindrücke von der marxistischen Philosophie bezieht er nicht aus den Lehrbüchern.
Moskau 6.31-6.51
Der Marxismus wird für ihn zu einer Sache der Wahrheitsfindung.
1922 kommt Lifschitz nach Moskau.
Lifschitz. Foto 6.51-7.00
Er ist vom gewaltigen Enthusiasmus der Epoche ergriffen. Er ist 17 Jahre alt. Er liest und zeichnet leidenschaftlich gern und träumt davon, Künstler zu werden.
Malewitsch 7.00-7.14
Die Kunst jener legendären Jahre ist heute wohlbekannt.
Lifschitz gerät unter den Einfluß avantgardistischer Strömungen
Wchutemas 7.14-7.51
und beginnt 1923 an den Wchutemas zu studieren, dem Zentrum des Kunstlebens jener Jahre, dem Bollwerk des radikalsten Neuerertums, der Entsprechung des Bauhaus. Es befand sich übrigens in einer wunderschönen klassizistischen Villa des späten 18. Jahrhunderts.
Und hier, in dieser weltweit einzigartigen Zitadelle der kommenden proletarischen Kunst, entfernt sich Lifschitz zunehmend von seinen Lehrern.
Früher als andere durchlebt er die innere Krise der Avantgarde, wendet sich offen der Klassik der Antike und Renaissance zu und erklärt: „Es ist an der Zeit, dem rastlosen Leerlauf der Reflexion Lebewohl zu sagen.“
Marx 7.51-8.10
In den 20er Jahren beginnt er, Deutsch zu lernen, um Marx und Hegel im Original lesen zu können. Die Frage, die ihn mehr als alles andere interessiert, folgt aus der Haltung von Marx zur Hegel’schen Konzeption des Todes der Kunst. Allgemein formuliert lautet sie folgendermaßen:
Griechische Bildhauerei oder Renaissance-Malerei können nicht wiederbelebt werden. Das wäre nicht weiter tragisch, wenn die moderne Welt den künstlerischen Formen der Vergangenheit etwas an ästhetischer Kraft und Bedeutung Gleichwertiges entgegensetzen könnte. Aber warum bringt die in ökonomischer Hinsicht so hochentwickelte kapitalistische Gesellschaft auf dem Gebiet der Kunst ein „Pissoir“ hervor? Worin liegt die Natur jenes schrillen Lyrismus, den der Künstler in Produkten der Sanitärtechnik findet?
Marx 8.44-9.12
Lifschitz macht die Entdeckung, dass Marx eine ästhetische Konzeption hatte. Zu jener Zeit hat das niemand vermutet. Er beginnt, alle in den Texten von Marx enthaltenen Aussagen über Kunst sorgfältig zusammen zu tragen. Die weit verbreitete Ansicht, Marx habe Kunst auf Ökonomie reduziert, weist er als fern von der Wahrheit zurück. Vielmehr lasse Marx den folgenden Schluß zu:
Das effektivste Produktionsmittel ist ein sehr schlechter Nährboden für Kunst, wenn es den Menschen zum Spielzeug der Kräfte der Marktkonjunktur macht.
Die Avantgarde ist der plastische Ausdruck dieser Unfreiheit, eine Krankheit des Geistes, ein unglückseliges Bewußtsein, eine Widerspiegelung der in der Phase des Niedergangs der früheren Klassenzivilisation bestehenden Widersprüche.
Lenins Tod 9.37-9.52
Es läßt sich wohl kaum ein unpassenderer Zeitpunkt finden, um Ansichten dieser Art zu verkünden. 1924 stirbt Lenin. In der bolschewistischen Partei tobt der Machtkampf.
Palast 9.52-9.59
Die Lehre von der Überlegenheit der Antike und Renaissance gilt als gnadenlos auszumerzendes bourgeoises Vorurteil.
Bis zu dem Zeitpunkt, da derartige Ansichten in der UdSSR zur offiziellen Ideologie werden, sollen noch lange Jahre vergehen.
Suprematismus 10.06-10.22
Auch ließ sich schwerlich ein schlechterer Ort für ihre Verkündung finden als ausgerechnet die Wchutemas.
Wenn Lifschitz die Rückkehr zur Klassik ausruft, hat er die wichtigste Lektion seiner Lehrer gelernt – die Lehrer müssen verdammt werden.
An eine Fortsetzung seines Studiums ist nicht mehr zu denken.
Ästhetik von Marx 10.22-10.30
1922 schreibt Lifschitz seine ersten theoretischen Arbeiten, die aber erst nach seinem Tod veröffentlicht werden. „Über die ästhetischen Ansichten von Marx“.
Dialektik in der Kunst. 10.30-10.38
Und „Dialektik in der Geschichte der Kunst“.
Ganz Kind seiner Zeit, formuliert er seine Ideen mit einem unverbesserlich provokativen Radikalismus,
Bellini 10.38-10.46
der auch heute noch zu schockieren vermag: „Den gängigen Phrasen unseres Zeitalters zum Trotz existiert eine absolute Schönheit ebenso wie eine absolute Wahrheit.“
Leonardo 10.46-10.55
„Relativismus ist die Dialektik der Dummen“.
Ent“kulak“isierung 10.55-11.13
Im Jahr 1929, als im Land die Kollektivierung der Landwirtschaft beginnt, wird Lifschitz nach einem Auftritt zur Verteidigung des klassischen Erbes „rechtes Abweichlertum in der Kunst“ vorgeworfen.
Lifschitz. Foto 11.13-11.22
Zu jener Zeit ließ sich damit nicht spaßen.
Haus. Lukács 11.22-11.31
1930 lernt Lifschitz den kurz zuvor nach Moskau gekommenen marxistischen Theoretiker Georg Lukács kennen.
Klassenbewußtsein 11.31-11.39
Den Autor des legendären, 1923 erschienenen Buches: „Geschichte und Klassenbewußtsein“.
Weißmeerkanal 11.39-11.53
Während des gesamten folgenden Jahrzehnts führen die beiden einen intensiven Dialog, der sich vor dem Hintergrund der Industrialisierung, des Thermidor und des Stalinschen Terrors entfaltet.
Marx über Kunst (33) 11.53-12.07
1933 veröffentlicht Lifschitz die Anthologie „Marx und Engels über die Kunst“.
Marx über Kunst (38) 12.07-12.15
1938 wird diese in erweiterter Form erneut aufgelegt, und 1940 aus den Bibliotheken entfernt.
Marx über Kunst (57) 12.15-12.22
Später wird sie noch einige Male wiederaufgelegt. Dies hier ist eine Ausgabe von 1957.
Marx über Kunst (deutsch) 12.22-12.28
Es gibt auch eine deutschsprachige Ausgabe.
Stalin 12.28-12.49
Ganz am Anfang der 30er Jahre tut sich, wie Lifschitz bemerkte, für eine kurze Zeit ein Spalt zwischen zwei repressiven Kräften auf: dem Vulgärmarxismus der 20er Jahre und der düsteren Dogmatik der späten 30er Jahre. Nach den Ergebnissen der theoretischen Erfahrung zu urteilen ist dies die wichtigste Schaffensperiode von Lifschitz.
Fragen der Kunst 12.49-13.03
Seine zwischen 1931 und 1934 verfaßten Texte erscheinen 1935 in dem Sammelband „Fragen der Kunst und Philosophie“.
Winkelman 13.03-13.08
In diesen Jahren gilt sein Interesse vor allem der humanistischen Linie in der Geschichte der Weltkultur.
Winkelman.
Diderot 13.08-13.14
Diderot
Lessing 13.14-13.16
Lessing
Goethe 13.16-13.20
Goethe. Unter seiner Herausgeberschaft erscheinen Eckermanns „Gespräche mit Goethe“.
Hegel 13.20-13.31
Und Hegel natürlich.
Lifschitz setzt sich zum Ziel, die klassische Linie der Geistesgeschichte wiederzuerrichten, die zum Marxismus geführt hat.
Hegel (Büste) 13.31-13.47
In den 30er Jahren interessiert sich Lifschitz vor allem für Hegel und dessen bekannte Aussage „Alles, was ist, ist vernünftig“.
Die himmelschreiende Unvernunft der Welt wird in jenen Jahren des Terrors in der UdSSR und der Entfesselung des Faschismus in Europa gar zu unverhüllt deutlich.
Lifschitz interpretiert Hegels Formel als paradoxalen Ausdruck der Distanz zwischen den Forderungen der Vernunft und den Fakten der realen Welt. Er bezeichnet dies als tragisch verstandene Harmonie.
Lukács 14.05-14.23
1938 beendet Lukács im Dialog mit Lifschitz sein Buch „Der junge Hegel und die Probleme der kapitalistischen Gesellschaft“. Nach dem zweiten Weltkrieg erscheint es mit der folgenden Widmung: „Michail Lifschitz als Zeichen der Achtung und Freundschaft.“
Palast der Sowjets 14.23-15.00
In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre scheinen Lifschitz’ Ideen auf den ersten Blick Realität zu werden. Die Begriffe „Realismus“, „Klassik“, „Das Schöne“ sind bereits mit aller Strenge fest etabliert. Lifschitz wird zu jener Zeit keinerlei offizielle Anerkennung zuteil, man macht ihm zum Vorwurf, nicht orthodox genug zu sein und in der Nachfolge von Nietzsche und Spengler zu stehen.
Lenin über Kunst (1938) 15.00-15.16
In den 30er Jahren stellt Lifschitz den Sammelband „Lenin über Kultur und Kunst“ zusammen, der 1938 gedruckt wird.
Lifschitz. Foto 15.16-15.27
In der Nachfolge Lenins interessiert ihn vor allem der Kampf gegen den Linksradikalismus und die Verteidigung der klassischen Kultur gegen die Avantgarde. 1937 kommen die literarischen Aktivitäten Lifschitz’ fast zum Erliegen.
Wyschinskij 15.27-15.43
Im Land herrscht Massenterror.
Hier sehen wir den Generalstaatsanwalt Wyschinskij im Prozeß gegen Volksfeinde.
Die Neue Renaissance, von der Lifschitz seit Mitte der 20er Jahre geträumt hat, ist in weite Ferne gerückt.
Was die sowjetischen 1930er Jahre vor allem ausmachte, war, wie Lifschitz es nannte, die Bitterkeit des inneren Konflikts. Es handelt sich um eine in sich geschlossene Epoche, zu der noch kein Schlüssel gefunden ist.
Titel: G. W. F. Hegel
In ihr war auch ein Protest gegen den status quo, der konsequenter und tiefgehender war als Sturm und Drang. Ein Protest, der in seinen äußeren Formen konservativ scheint.
„Um das Ziel zu erreichen, das Zeit meines Lebens für mich im Zentrum stand,“, erinnerte Lifschitz sich später, „machte die Geschichte einen höchst komplizierten und weiten Schlenker und nahm sich viel Zeit.“
Arbeiten der 30er Jahre 16.36-16.49
Lifschitz‘ Arbeiten der 1930er Jahre sind in Dresden auch in deutscher Sprache erschienen, wie immer bei Lifschitz zur ungünstigsten Zeit, im Jahr 1988, als das Interesse der Bürger der DDR für den Marxismus der Stalinzeit denkbar gering war.
Krieg 16.49-17.08
Für die Generation der 1930er Jahre wird der Krieg gegen den Faschismus zum biographischen Bruch.
Lifschitz geht an die Front. Im September 1941 wird er verwundet.
Übergang 17.08-17.20
Er dient in der Dnepr-Flottille. Die Flottille wird aufgerieben. Im September-Oktober 1941 kann er sich aus dem Kessel befreien.
Foto (NKWD) 17.20-17.30
Dieses Foto wurde aufgenommen, als er sich zu den Seinen durchgeschlagen hat.
Foto (in Uniform) 17.30-17.35
Den Krieg beendet er im Rang eines Hauptmanns.
Michoels 17.35-17.50
Ende der 40er Jahre beginnt in der UdSSR die antisemitische Kampagne des Kampfes gegen den Kosmopolitismus. Die Mitglieder des Jüdischen Antifaschistischen Komitees werden liquidiert.
„Nach dem Krieg“ – erinnerte sich Lifschitz – „wurde vieles anders und die Zeit war nicht leicht. Nach der Rückkehr vom Militärdienst fühlte ich mich vollkommen vergessen, am Boden, und über mir war ein ganzer Ozean recht trüben Wassers.“
Postkarte (1.2.3.) 18.14-18.50
Diese Postkarte bekam Lifschitz zu milderen Zeiten, im Jahr 1964. Auf ihr ist zu lesen:
„Sehr geehrter Michail Alexandrowitsch! In den Tagen des Großen Oktober möchte ich Ihnen fest die ästhetische Hand drücken und wünsche Ihnen von ganzem Herzen neue Erfolge in ihrem Schaffen.
Mit freundlichem Gruß! Astachow.
Am Rand hat Lifschitz notiert:
„Das ist der Dreckskerl, der 1949 überall rumposaunt hat, daß ich im trotzkistischen Untergrund großgeworden sei, daß ich trübe, schmutzige und abgeschmackte Philosophie predige und daß ich ein ‚Ideologe der Dekadenz‘ sei.“
Landschaft 18.50-19.00
Dies ist ein Landschaftsbild, das Lifschitz 1952 gemalt hat, zu dieser Zeit hatte er bereits über 10 Jahre geschwiegen.
Stalins Tod 19.00-19.11
Im März 1953 stirbt Stalin.
Demonstration 19.11-19.33
Nach Ausschaltung Berijas kommt Nikita Chruschtschow an die Macht. Was gemeinhin als Chruschtschow’sches Tauwetter bezeichnet wird, beginnt mit den Publikationen der Zeitschrift „Nowyj Mir“. Dort erscheint auch der Aufsatz „Das Tagebuch der Marietta Schaginjan“ von Lifschitz.
Nowyj Mir (1954) 19.33-19.40
Dies hier ist die betreffende Nummer der Zeitschrift. Der Text war der bekannten Schriftstellerin gewidmet.
Schaginjan, Plakate 19.40-20.06
Es handelte sich um ein Pamphlet, um eine beißende Satire auf die Stalinsche Intelligenz mit all ihrer Phrasendrescherei und erstaunlichen Fähigkeit, epische Begeisterung und innere Gleichgültigkeit gegenüber allem, worüber sie schrieb, zu verbinden. Die Veröffentlichung schlägt ein wie eine Bombe. Die offizielle sowjetische Presse wirft Lifschitz „Nihilismus“ vor, Verrat an den sozialistischen Idealen „im 37. Jahr unseres gemeinsamen Weges“,
Lifschitz. Foto 20.06-20.20
Snobismus und Predigt antipatriotischer Konzeptionen. Für diesen Text wird Lifschitz aus der Partei ausgeschlossen.
Er verstummt erneut für 10 Jahre.
Chruschtschow (O-Ton) 20.20-20.40
Titel: Die Ziele sind klar. Die Aufgaben definiert. An die Arbeit, Genossen. Zu neuen Siegen des Kommunismus.
Manege 20.40-21.02
Hier sehen wir Nikita Chruschtschow bei seinem Besuch der Ausstellung in der Moskauer Manege im Jahr 1962. Er diffamiert jegliche Abweichung vom Sozialistischen Realismus.
Die jungen Dichter entdecken zu dieser Zeit den Futurismus.
Wosnesenskij (O-Ton) 21.02-21.10
Titel: Ich bin Goya. Die Augenhöhle der Trichter hat mir ein Rabe ausgepickt.
Beatles (O-Ton) 21.10-21.29
Die Jugend entdeckt die Popkultur.
Lifschitz. Foto 21.29-21.44
Und im Jahr 1966 fällt Lifschitz nichts Besseres ein, als seinen Kampf gegen die Avantgarde 40 Jahre danach durch Veröffentlichung des Manifests „Warum ich kein Modernist bin“ wiederaufzunehmen. Daß der Verfasser dieses in den besten Traditionen des XX. Jahrhunderts verfaßten Textes an den Wchutemas studiert hat und die Problematik der Avantgarde nicht akademisch, sondern aus der Innensicht kennt, daß er Ideen vertritt, die ihm bereits in den 20er Jahren großen Ärger einhandelten, ist niemandem mehr in Erinnerung.
Aber die jüngere sowjetische Intelligenz weiß, daß man die Avantgarde nicht antasten darf.
Kopelew 21.44-22.41
Dies ist ein Brief, den der Kulturhistoriker, frühere Häftling der Stalinschen Lager und spätere Dissident Lew Kopelew im Jahr 1966 an Lifschitz schrieb.
Michail Alexandrowitsch!
Ich schicke Ihnen meinen Artikel, da ich bezweifle, dass er irgendwo gedruckt werden wird, aber will, daß Sie ihn lesen.
Bis zum heutigen Tag habe ich es nicht für nötig erachtet, Ihren Ansichten über Kunst entgegenzutreten, da ich Ihre sonstige Publizistik (Pamphlet gegen Schaginjan u.a.) sehr schätze. Aber mit Ihren Artikeln in „Forum“ und in der „Literaturnaja gaseta“ geben Sie sich dermaßen deutlich als Vorkämpfer der reaktionärsten aller im internationalen Kulturleben unserer Zeit aktiven Kräfte zu erkennen, daß ich gar nicht anders kann, als Ihnen entschieden zu widersprechen.
Ich möchte hoffen, daß Sie nichtsdestotrotz noch nicht vollständig in der Rolle des Protopop Awwakum des zeitgenössischen ästhetischen Altgläubigentums aufgegangen sind und ihre Fehler, Irrungen und Vorurteile wenigstens in gewissem Masse noch einschätzen können.
Krise (Schutzumschlag) 22.41-22.56
Mit besten Wünschen für Ihre Gesundheit. Lew Kopelew.
Lifschitz war nicht nur taub für diese Stimme, sondern ging mit der Veröffentlichung des Buches „Die Krise des Häßlichen. Vom Kubismus zur Pop-Art“ sogar zum frontalen Angriff auf die liberale Intelligenz über.
Kein anderes Werk des XX. Jahrhunderts hat in ähnlich vernichtender Weise nicht nur die bourgeoise Welt, sondern zugleich auch alle avantgardistisch motivierten Formen der Kritik an dieser Welt kritisiert.
Und wie immer bei Lifschitz war der Zeitpunkt der Publikation denkbar ungünstig gewählt.
Tschechoslovakei 23.21-23.43
1967 für den Druck vorbereitet, erscheint das Buch 1968. Am 21. August marschieren sowjetische Truppen in der Tschechoslovakei ein, um dort die liberalen Reformen niederzuschlagen, den „Prager Frühling“.
Wer bis dahin noch an die Möglichkeit eines Sozialismus mit menschlichem Antlitz geglaubt hatte, verliert jetzt auch die letzte Hoffnung. Das Dissidententum wird zur Massenbewegung.
Solshenizyn 23.43-23.56
(Das Dissidententum wird zur Massenbewegung). Solshenizyn bezeichnet Lifschitz als Fossil des Marxismus. Worauf dieser entgegnet, daß Bodenschätze letztlich auch fossilen Ursprungs seien, und es in jedem Fall besser sei, ein Fossil des Marxismus als ein Fossil der Restauration der Bourbonen zu sein.
Marx. Kunst und Ideal 23.56-24.19
1972 gibt Lifschitz das Buch „Karl Marx. Kunst und gesellschaftliches Ideal“ heraus.
Er versammelt dort seine Arbeiten der Jahre 1927-1967. Er ist sich vollauf bewußt, welche Reaktionen diese Texte in einer Zeit hervorrufen werden, in der sich die sowjetische Intelligenz massenhaft vom Marxismus losgesagt hat.
Marx (deutsch) 24.19-24.25
Dieses Buch ist auch in deutscher Sprache erschienen.
Der offiziellen Macht geht es schon nicht mehr um Nuancen des Inhalts.
Lifschitz. Foto 24.25-24.38
1973 wird Lifschitz, der zu diesem Zeitpunkt fast 70 Jahre alt ist und über keinerlei akademische Würden verfügt, für dieses Buch der Grad eines Doktors der Philosophie verliehen. Wenig später wird er Mitglied der Akademie der Wissenschaften.
15. Kunst und Moderne Welt, Unersetzliche Tradition 24.38-24.54
1973 gibt er das ebenfalls gegen die Avantgarde gerichtete Buch „Kunst und Moderne Welt“ heraus, das seinen Ruf als reaktionärster Autor der Breshnew-Zeit festigt.
Suslow 24.54-25.05
Man erklärt ihn zum Haupttheoretiker Suslows.
Suslow - der zweite Mann in der Partei, Stalins Sekretär für Propaganda, die graue Eminenz, mit dessen Namen die Verfolgung für kleinste Abweichungen von der marxistischen Orthodoxie assoziiert wird.
„Man muß unerschütterlich an sich glauben, um sich für die Verachtung dessen zu entscheiden, was du scheinst“, hat Lifschitz einmal über Voltaire geschrieben.
Bulldozerausstellung 25.15-25.34
1974 organisieren 27 Moskauer Avantgardisten auf einer entlegenen Freifläche eine nichtsanktionierte Ausstellung. Die Behörden treiben diese mit Bulldozern auseinander. Die Inoffizielle Kunst wird zur politischen Kraft.
Arbeiten 25.34-25.46
Die Ansichten von Marx und Lenin über Kunst zu verteidigen, wird unter diesen Bedingungen endgültig zu einem hoffnungslosen Unterfangen, das Lifschitz auch weiterhin mit unbelehrbarer Sturheit verfolgt.
„Mein Leben lang habe ich nichts anderes gemacht, als ins Wirtshaus zu gehen, um Abstinenz zu predigen“, schreibt er dazu.
Plakate 25.52-26.03
Die offizielle Kultur nimmt in jenen Jahren immer primitivere Formen an.
Paß 26.03-26.19
Eine neue Generation wächst heran, die nicht nur Stalin, sondern auch Chruschtschow gar nicht mehr kennt.
Auszeichnung 26.19-26.50
Die Oktoberrevolution, dereinst vollendet, um die Distanz zwischen Vernunft und objektiver Realität zu verringern, entwickelt sich jetzt nicht zur Tragödie wie in den 1930er Jahren, sondern in Richtung Absurdität.
Dies ist eine der vielen Auszeichnungen für den Generalsekretär des ZK der KPdSU, Breshnew, im Jahr 1978. Fast jeden Monat werden ihm zu dieser Zeit Orden verliehen.
Auszeichnung (O-Ton) 26.50-27.28
Titel: Liebe Genossen. Freunde. Es ist leicht, meine Gefühle in diesem Augenblick zu verstehen. Für mich, einen Menschen, der den ganzen Krieg miterlebt hat, von Anfang bis Ende, und dann die Nachkriegsjahre, die immer mit dem Leben unserer Streitkräfte verbunden waren, ist der Orden des Sieges eine höchst ehrenvolle Auszeichnung, die mich zutiefst bewegt.
Afghanistan 27.28-27.46
1980 marschieren sowjetische Truppen in Afghanistan ein.
Der Staat setzt seinen Krieg gegen die Dissidenten fort. Solshenizyn lebt bereits seit mehreren Jahren im Ausland.
Sacharow 27.46-28.04
1980 wird der Physiker Andrej Sacharow, Mitglied der Akademie der Wissenschaften und herausragender Bürgerrechtler, wegen seines Protestes gegen den Krieg in Afghanistan in die Stadt Gorkij, das heutige Nishnij Nowgorod, verbannt.
Breshnews Tod 28.04-28.22
Im November 1982 stirbt Leonid Breshnew. Die Macht in der UdSSR übernimmt KGB-Chef Jurij Andropow.
Lifschitz. Foto 28.22-28.38
Lifschitz arbeitet in jenen Jahren daran, die Ideen zu systematisieren, die er erstmals bereits Anfang der 1930er Jahre äußerte, aber infolge der dramatischen Umstände seines Lebens nicht weiterverfolgen konnte.
Bilder aus der Wohnung. 3 28.38-28.58
Als Lifschitz 1983 stirbt, bleiben viele seiner Arbeiten unvollendet. Vieles von dem, was er hinterließ, wurde erst nach seinem Tode veröffentlicht.
Sein gewaltiges Archiv ist in zahllosen Mappen erhalten, deren äußere Gestaltung übrigens deutlich die Hand des ehemaligen Schülers der Wchutemas verrät.
Mappen 28.58-29.10
Hier sind einige von ihnen:
„Das Konkrete“
„Die Negation“
„Pro domo“
Gorbi 29.10-29.29
1985 kommt Michail Gorbatschow an die Macht.
Gorbi (O-Ton)
Titel: Ich habe die Leute auf der Straße getroffen, und in der Fabrik. Und Wissenschaftler und jetzt junge Studenten.
Im Land beginnt die Perestrojka.
In der Welt der Ästhetik 29.29-29.53
In gleichen Jahr wurde Lifschitz’ Buch „In der Welt der Ästhetik“ veröffentlicht, das auch einen seiner wichtigsten Texte enthält - „Der Mensch der 30er Jahre“.
Und wenn schon zu Lebzeiten des Autors alles zur Unzeit geschah, dann ist diese posthume Publikation der absolute Höhepunkt des falschen Zeitpunkts. Vor der Tür stehen schon vollkommen andere Zeiten. Alles wartet nur auf das Ende der sowjetischen Ordnung, die alle längst satt haben.
Sacharow 29.53-30.05
Dies sind Bilder von Sacharows Rückkehr aus der Verbannung im Jahr 1986.
Dreibänder 30.05-30.17
Lifschitz‘ Hauptwerke werden in einer dreibändigen Ausgabe veröffentlicht – der erste Band erscheint 1984, der zweite 1986, der dritte 1988.
Das Land lebt in Erwartung neuer Zeiten.
Veränderung (O-Ton) 30.17-30.27 (Titel)
In unserem Lachen und in unseren Tränen und im Pulsieren unserer Venen. Veränderung, wir warten auf Veränderung.
Der Fall der Regime 30.27-30.53
1989 fallen die kommunistischen Regime in Europa eins nach dem anderen wie Kartenhäuser in sich zusammen. In Bulgarien, Rumänien, in der Tschechoslovakei, in Deutschland.
30.53-30.58
Just zu dieser Zeit entdecken einige Künstler mehr oder weniger zufällig die Texte von Lifschitz für sich.
Demonstration 30.58-31.07
Es läßt sich kaum etwas vorstellen, was in jenen Jahren der antikommunistischen Massenhysterie unkonformistischer gewesen wäre, was in krasserem Widerspruch zu den Ereignissen gestanden hätte.
Die Zeiten wurden allmählich rauher.
Schlägerei um Wodka (O-Ton) 31.07-31.20
Das Ende des XX. Jahrhunderts 31.20-31.38
Dies ist die Titelseite der Zeitschrift „Konez XX veka“, der ersten unabhängigen, von Künstlern selbst gegründeten Publikation über zeitgenössische Kunst. Hier wurde ein Text von Lifschitz veröffentlicht, der ursprünglich als Vorwort des Buches „In der Welt der Ästhetik“ gedacht war, Anfang der 80er Jahre aber nicht durch die Zensur kam.
In diesem lange vor den beschriebenen Ereignissen verfaßten Text bescheinigt Lifschitz der sowjetischen Intelligenz, vom Zorn eines hochmütigen Spießertums besessen zu sein, das die marxistische Tradition moralisch zerdrücken will.
Ins Dorf. An den Großvater 32.00-32.14
1990 erscheint Lifschitz‘ Buch „Ins Dorf. An den Großvater“, das zuvor von der Zensur verboten war.
Die Auflage beträgt 300 Exemplare.
Leere Regale 32.14-32.26
Es wird immer schwieriger, Lebensmittel und andere Waren des täglichen Bedarfs zu kaufen.
GKTschP 32.26-33.00
Im August 1991 scheitert der gegen die Reformen gerichtete Putsch. Die Sowjetunion wird nicht einmal mehr vier Monate existieren.
Das Volk demontiert das Denkmal für Felix Dsershinskij, den Gründer der Tscheka, der Geheimpolizei der Sowjetzeit.
Kosaken 33.00-33.16
Von den frühen 90er Jahren an wird in Rußland nach und nach alles abgeschafft, was an die sowjetische Vergangenheit erinnert. Das geschieht in Form einer Rückkehr zu noch älteren Formen aus der Zeit vor der Revolution.
Barkaschow-Anhänger 33.16-33.28
Nationalistische Stimmungen greifen immer mehr um sich und schmücken auch die Ideologie der neuen, auf den Ruinen der KPdSU entstandenen russischen Kommunistischen Partei.
Capital 33.28-33.37
Daß auch das Interesse für den klassischen Marxismus wieder erwacht, ist weniger auffällig, aber auch das findet statt.
Kommersant (1993) 33.37-34.24
In der Zeitung „Kommersant-daily“ erscheint am 29. September 1993 die Notiz „Michail Lifschitz findet schließlich doch seinen Leser“.
„Gestern fand in der Akademie der Künste eine Tagung aus Anlaß des 10. Todestags des herausragenden Theoretikers und Mitbegründers der marxistisch-leninistischen Ästhetik Michail Lifschitz statt. Bis in allerjüngste Zeit wurde dieser Name unweigerlich mit der Verfolgung kleinster Abweichungen vom Realismus assoziiert und galt als Synonym für Konservatismus und Reaktion.
Die dem Andenken des letzten russischen Marxisten gewidmete Tagung blieb sogar innerhalb der Mauern der Akademie weitgehend unbemerkt. Die Anwesenden ließen sich an den Fingern abzählen. Erstaunlicherweise waren unter ihnen auch Vertreter der radikalsten Strömungen der zeitgenössischen Kunst, für die Lifschitz unerwarteterweise aktuell geworden ist.
Kriminal 34.24-34.47
Diese Aktualität ist recht leicht zu erklären. Im Land ist zu jener Zeit der Kampf um den Besitz des unermeßlichen Volkseigentums in vollem Gange, der mit allen erdenklichen Stich- und Feuerwaffen geführt wird. Die Periode der „ursprünglichen Kapitalakkumulation“, von Marx einst beschrieben, läßt sich nun in der Praxis erkunden.
Vor diesem Hintergrund entsteht 1994 in Moskau das „Lifschitz-Institut“.
„Segodnja“ (1995) 34.47-35.01
Eine seiner ersten Veranstaltungen ist 1995 eine Ausstellung zum 90. Geburtstag von Lifschitz im Moskauer Zentrum für Zeitgenössische Kunst. Für die Kunstkritik jener Jahre ist das Institut
Jelzin (O-Ton) 35.01-35.50
Manifestation einer „Poetik von Schockeffekten“, ein exzentrischer und riskanter Akt, dem allgemeines Unverständnis und Ostrazismus drohen.
Übrigens war die Realität in den 1990er Jahren von solch einer Intensität, daß es überaus schwierig war, irgendwen mit irgendwas zu schockieren.
35.20
Titel: Boris Jelzin bei den Feierlichkeiten aus Anlaß des Abzugs der russischen Truppen aus Deutschland.
Putin 35.50-35.56
Die Übergabe der Macht an Putin war durch einen rasanten Stimmungswandel in der Gesellschaft gekennzeichnet.
Nach dem Jahr 2000 kommen linke Positionen angesichts weltweiter Erschöpfung an den Erfolgen der Globalisierung in Rußland wieder in Mode.
Bücher wie dieses gehören zur Lieblingslektüre der Jugend.
Unter diesen Bedingungen wirkt die Verteidigung des klassischen Marxismus wie schon in den 20er Jahren erneut konservativ.
Derweil setzt das „Lifschitz-Institut“ seine Arbeit zur Erforschung und Verbreitung des sowjetischen Marxismus der 30er Jahre fort.
Hier treffen Teilnehmer des „Instituts“ im März 2004 den Künstler Hans Haake in einem der Moskauer Ateliers. Agitation für Lifschitz. Wirklich überzeugt wirkt Haake nicht.
Stella 36.20-36-42
Noch eine weitere, öffentlichere Veranstaltung. Ein für Moskau völlig neues Phänomen – Eröffnung einer Galerie, in der anerkannteste zeitgenössische Kunst zu Weltmarktpreisen gehandelt wird. Die erste Ausstellung: „Klassiker der Pop-Art“. In den Sälen der Galerie veranstaltet das Institut eine Diskussion über den 1966 von Lifschitz verfaßten Artikel „Die Phänomenologie der Konservendose“.
Der Titel des Textes verweist auf Hegels „Phänomenologie des Geistes“,
wobei die berühmte Campell’s-Konservendose die Stelle des Geistes einnimmt, mit all ihrem triefenden Amerikanismus.
Die Diskussion führt zu heftigen Streitgesprächen.
Film 37.23-40.47
Lifschitz. Foto 40.47-41.19
Die Ansichten Lifschitz, des Nachfolgers der durch das XX. Jahrhundert zu Pseudopropheten erklärten Hegel und Marx, wurden von seinem Jahrhundert zurückgewiesen. Übrigens war er selbst überzeugt, daß es analog zum Gesetz der Bewahrung von Stoffen auch ein Gesetz der Bewahrung von Gedanken geben müsse. Lifschitz sah darin einen Trost für jede Idee, die nicht unverzüglich und vollständig umgesetzt wird.
Die Sache, die er mit soviel Tiefgang und revolutionärer Energie begann, sollte nicht unvollendet bleiben.
Übersetzung: Lars Nehrhoff