Åêàòåðèíà Äåãîòü - "Êèíî æèâîïèñè"

Ekaterina Degot - "The Cinema Of Painting"

Film der Malerei

Ekaterina Degot (about the works „From flat to flat” and “Moscow summer”)

Fragment, manuscript. In: Groys, Boris, von der Heiden, Anne, Weibel, Peter (Hg.),
Zurück aus der Zukunft. Osteuropäische Kulturen im Zeitalter
des Postkommunismus, Frankfurt am Main 2005.

Dem zeitgenössischen Künstler ist klar, dass die Ästhetik der sowjetischen Malerei einen Kompromiss darstellte zwischen dem sich bewegenden und dem statischen Bild; diesen dialektischen Kompromiss geht er auch selbst ein. Dmitrij Gutov arbeitet im Raum zwischen Video und Bild. In seinem Film „Moskauer Sommer“ (2000) sehen wir einen Minirock nach dem anderen (und das wenige, was sich darunter verbirgt) von Mädchen, die die Rolltreppenstufen in der Metro hinaufsteigen. Der Film wird untermalt mit einem Schlager des in den 1970er Jahren bei den Sowjetmenschen beliebten „Krimichanconniers“ Arkadij Severnyj. Seine heisere, maskuline Stimme in Verbindung mit den fröhlich wehenden Röcken und der Metro, diesem symbolischen Tempel der sowjetischen Gemeinschaftlichkeit, versetzt den Zuschauer in die Zeit der 70er Jahre in der Sowjetunion, die als Strom der Liebe, Freundschaft und Freizeit wahrgenommen wurde. Dieser Effekt wird in der Serie kleinerer Bilder noch verstärkt, auf denen der Künstler Einzelbilder des Films wiederholt hat; sie sind „sowjetisch“ im Geist der 1960er Jahre gemalt, im Geist „nach der Entlarvung des Personenkults“, also mit einer Sorglosigkeit, hinter der sich der grenzenlose Glaube an das Gute im Menschen verbirgt: Der Zuschauer und Betrachter ist ja einer von uns, kein Feind.

Der erotische Effekt, den der Blick unter den Rock auslöst, steht hier in unmittelbarer Verbindung zum ästhetischen Projekt der Moskauer Metro mit ihren Deckenmosaiken, die beim Versuch, sie genau zu betrachten, Schwindel und, wie die Architekten hofften, Ekstase auslösen. Aus Stepanovas Erinnerungen kennen wir Majakovskijs Statement von 1927, der meinte, dass man den fehlenden Gefühlsüberschwang, von dem die Massen bei den Demonstrationen im Jahr 1919 (als die Demonstranten sofort an die Front geschickt wurden) erfasst waren, nur dadurch kompensiert werden könne, wenn man Flugzeuge zum Himmel aufsteigen lasse, um eine „überflüssige Bewegung (zu erzeugen), nämlich den Kopf in den Nacken zu legen“. (…)

Aber wenn sich Lisickij für dieses suggestive Ganze, das sich mit dem Raum einer Kirche vergleichen lässt, entscheidet, muss man ihm und seinen Nachfolgern dann nicht den schroffen Vorwurf machen, er „ästhetisiere das Politische“ und erzeuge eine unverzeihliche kathartische Illusion? Wir wollen jedoch aufmerksam auf seine Worte eingehen: „von oben betrachten, von unten studieren.“ Von oben betrachten, heißt, auf „ein Buch, das auf einem Zeitschriftentisch liegt“, wie auf ein Bild zu schauen, wie auf ein ästhetisches Objekt, ein Bildwerk; von unten studieren, heißt, die über dem „in den Nacken gelegten Kopf“ hinwegfliegenden Flugzeuge zu betrachten und dabei Euphorie zu empfinden, ohne den forschenden, kritischen Verstand zu verlieren.

Das ist genau das, was Gutov anstrebt. In einer seiner Gemäldeserien stellt er die Umschläge der Bücher von Marx oder Giorgio Agamben in Gestalt von Bildern (die natürlich senkrecht hängen) dar, übersetzt also das Dokument in ein Gemälde und vollzieht die „Sublimierung“ der euphorischen Begeisterung. Wie bei Lisickij „erigiert“ die Horizontale in die Vertikale, und die Vertikale (der Bildschirm) kippt in den Himmel. Ein Beispiel dafür ist die Installation „Von Wohnung zu Wohnung“ (2002), wo auf zwei parallele Bildschirme das Panorama Moskaus synchron projiziert wird. Das Panorama ist mit zwei Videokameras aus einem fahrenden Auto aufgenommen, die beide umgekehrt gehalten wurden, so dass auch die Ansicht um 180° verkehrt ist. Als Inspirationsquelle diente der bekannte Effekt der camera obscura, den Gutov einmal erlebte, als er durch seine Heimatstadt in einem Kastenwagen mit Plane fuhr (beim Umzug in eine andere Wohnung, daher der Titel). Aber im Unterschied zur camera obscura, die ab dem 17. Jahrhundert eine beliebte Jahrmarktsattraktion war, fehlt in Gutovs Projekt ein nicht unwichtiges Detail, nämlich der Spiegel, so dass die Abbildung verkehrt bleibt.

Wäre es übertrieben, diesen Spiegel als Symbol der Reflexion zu deuten und die Geste des Künstlers als demütigen Verzicht auf sie, auf die kapitalistische Position des Beobachters? Im Gefolge seines großen Vorbilds Michail Lifsic wiederholt Gutov gerne: „Es kommt die Zeit, dem Mäusegerangel der Reflexion Lebwohl zu sagen.“ Allerdings geht es nicht darum, es durch Affirmation zu ersetzen. Wir sehen Moskau „von allen Seiten“, dialektisch, positiv, aber diese Dialektik destabilisiert, entzieht einem buchstäblich den Boden unter den Füßen, und genau das Verbot der Reflexion erlaubt es, Moskau richtig zu sehen. Auf der Tagesordnung der russischen Künstler steht die Suche nach einer neuen ästhetischen und ethischen Geste, Gutov bietet dafür den Terminus „humane Resignation“ an, der von dem großen Literaturkritiker des 19. Jahrhunderts Vissarion Belinskij stammt, der Lieblingsausdruck von Lifsic war und eine weise, stoische Teilnahme an einer Wirklichkeit bezeichnet, mit der man nicht einverstanden ist. Deshalb ist im Film „Von Wohnung zu Wohnung“ der Strom der dem Künstler unsympathischen neokapitalistischen Metropole mit all ihrem Glanz und Elend mit einer Romanze unterlegt, in dem ein samtweicher Tenor seiner neuen Bekannten gesteht, er wisse nicht, ob er sie liebe, vermute jedoch, dass dem so sei. Diese „Liebe“ ist die „humane Resignation“; die Romanze aber, das wohl verbreitetste Opus Caikovskijs, ist ein weiterer Prüfstein durch Trivialität.