DMITRI GUTOV Paralyse des Willens


Ich kann nicht für einen Katalog schreiben. Das ist eine seltsame Beschäftigung. Für eine Zeitschrift kann ich es ebenfalls nicht. Ich habe nichts zu sagen. Kein einziger Gedanke, der nicht banal wäre, befindet sich in meinem Kopf. Aber ein banaler Gedanke läßt sich nicht klar und kraftvoll zum Ausdruck bringen.

Es ist heute sogar noch dümmer, sich in Kunstlosigkeit und Einfachheit zu verstecken als im »Zaum'«.

Aber das war nicht immer so. Noch unlängst konnte ich mich ruhig hinsetzen und schreiben. Und das war geistreich und klar. Was ist denn los? Die Gedanken sind ausgegangen. Alles ist gesagt, und alles ist erklärt. Jede, sogar die beste Idee trägt den Stempel nichtmals nur der achtziger, sondern schon der siebziger Jahre. In dem, was hier geschrieben ist, gibt es auch nichts Neues, aber ich bin verpflichtet, die Situation zu fixieren — das Funda­ment meiner weiteren Überlegungen. Dabei habe ich nicht die geringste Vorstellung, wohin sie mich führen.

Lange kann ein solcher Zustand nicht bestehen. Et­was Neues muß auftauchen. Interessant, was dies sein wird?

Aber da hätten wir ja schon etwas! Ja, ein ausgezeich­netes Thema: eine Wende in der geistigen Entwicklung. Im neunzehnten Jahrhundert haben sie sich darauf ver­standen: Auf hundertfünfzig Jahre im voraus haben sie geplant — und zwar alles, wie nach Noten. Und heute — ach könnte man nur ein winziges Stückchen vorausschau­en! Ich habe meine Arbeit — wie zum Trotz — Paralyse des

Willens genannt. Jetzt ist es an der Zeit, sich von einem solchen Titel loszusagen. Ich fühle die Nähe frischer Ide­en. Wie wichtig es ist, diesen Augenblick zu erfassen. Noch ist nichts gesagt; und es gibt keine Hoffnung, daß es ir­gendwo schon gesagt wurde, wenn auch nur leise. Es exi­stieren noch nicht einmal mehr Hinweise. Was für eine Zeit! Jetzt strenge ich mich an, und die Hand beginnt, etwas hervorzubringen. Sie wird nicht einmal dem Ge­danken hinterherkommen. Irgendwo habe ich dieser Tage gelesen, daß ein Mensch, der willenlos und müde war, sich im Wald ins Moos gesetzt hat und dabei wieder tat­kräftig und entschlossen wurde. (Das erinnert mich an Nathaniel Hawthornes Scharlachroten Buchstaben). Und ge­nauso ist das mit mir. Ich habe mich selbst gezwungen, mich vor das Papier zu setzen. Und jetzt bin ich bereit, zu schreiben und nochmals zu schreiben. Ich habe etwas zu sagen. Das heißt, eigentlich nichts, noch nichts, aber ich verspüre schon den Wunsch. Schade, daß ich nicht alles aufschreiben konnte, woran ich früher gedacht habe, vielleicht war darunter viel Wesentliches, vielleicht sogar etwas, woran noch niemand außer mir gedacht hat, aber das dürfte wohl kaum der Fall sein.

Nun, jetzt ist die Arbeit wohl fertig. Der Umfang ist für mich normal: drei Seiten mit dem Kugelschreiber. Ob­gleich, wenn man alles Durchgestrichene hinauswirft, dann ist es ein bißchen wenig. Ja, und auch der Titel ist, wie ich schon gesagt habe, hoffnungslos veraltet. Der Leser soll doch selbst einen passenden finden.

1990.